150 Jahre Gedenken an Adelheid Clara Sofie Voith geborene Hartmann (18. Januar 1847 bis 20. November 1868) und an Carl Matthäus Friedrich Voith (24. März 1868 bis 5. April 1868)
Die größten Arbeitgeber der Stadt Heidenheim sind bis heute zwei Konzerne, und zwar Hartmann und
Voith. Dass beide Familien verschwägert sind, ist vielen Menschen unbekannt. Und dabei spielte die mit
der Hartmannfamilie verschwägerte Familie Zoeppritz keine geringe Rolle. Blicken wir zurück auf
Ereignisse vor über 150 Jahren:
Die Familien Hartmann und Zoeppritz waren in der Textilindustrie aktiv und erfolgreich. Bereits 1810 trat
Jakob Zoeppritz aus dem Großherzogtum Hessen eine Lehre bei der Firma Meebold, Schühle & Co.
(spätere WCM) in Heidenheim an, deren Geschäftsführer und Mitinhaber Ludwig Hartmann seit 1791 war.
1828 heiratete Jakob Zoeppritz eine Tochter seines früheren Chefs Ludwig Hartmann. (1) Inzwischen hatte
Ludwig Hartmann 1818 seine eigene Firma gegründet und die Firmen Zoeppritz und Hartmann wurden
damals schon wichtige Arbeitgeber in Heidenheim.
Mit dem Einsatz von Maschinen in diesem Bereich wuchs der Bedarf an gut arbeitenden Maschinen, so
dass technisch begabte Männer gebraucht wurden. Der für die Stadt bereits fertigende Schlosser Johann
Matthäus Voith erkannte wohl die Begabung seines Sohnes Friedrich. Für ihn beantragte er 1857 von der
Stadt Heidenheim ein Stipendium zum Besuch des Polytechnikums in Stuttgart, das positiv beschieden
wurde. (2) Nachdem 1864 die Voeltersche Papierfabrik mitsamt den Maschinen ein Raub der Flammen
wurde, rief Vater Voith seinen Filius zurück. Die vielen Maschinen mussten ersetzt werden und er selber
schien wohl mit der Bewältigung dieses Großauftrages überfordert zu sein. Friedrich Voith, der
inzwischen als Ingenieur bei der Maschinenfabrik Escher-Wyss in Ravensburg und weiteren Firmen
erfolgreich tätig war, kam zurück – und es kam so, wie es bei vielen Familien der Fall ist: Die
Vorstellungen von Alt und Jung gingen sehr auseinander, so dass sich die Zusammenarbeit zwischen Vater und Sohn nicht sehr erfreulich zu entwickeln schien, denn 1866 stellte Friedrich Voith einen Antrag um Entlassung aus dem württembergischen Staatsverbande, um nach Amerika auszuwandern. (3)
Jetzt war guter Rat teuer. Sicherlich hat sich Johann Matthäus Voith, 1852 in den Gemeinderat (Stadtrat)
gewählt, an seinen ehemaligen Mitgemeinderat Carl Hartmann, von 1854 – 1860 in diesem Gremium,
Gesellschafter der Firma Ludwig Hartmann’s Söhne und Bleichbesitzer, erinnert, der aber bereits 1865
gestorben war und als studierter Ökonom hohes Ansehen durch Einführung vieler Neuerungen genoss. (4)
Auch der Stadt Heidenheim gegenüber hatte Schlosser Voith in dieser Hinsicht Erklärungsbedarf. Carl
Hartmanns Erben waren seine Gattin mit ihren vier Söhnen und der Tochter Adelheid. Carls Witwe
Caroline Hartmann, Tochter von Pfarrer Maisch in Orlach und die noch minderjährigen Kinder standen
aber unter der Vermögenspflegschaft von Carl Zoeppritz, dem jüngsten Bruder von Jakob Zoeppritz. (5)
Zur Bleiche, deren Vertreter nun Paul und Eduard Hartmann waren, gehörten sehr viele Grundstücke in
den Erchen und an vielen anderen Stellen Heidenheims, u. a. auch im Ugental, die zum Bleichen aber
auch landwirtschaftlich genutzt wurden. Und es war abzusehen, dass für die Bleichwiesen und die große
Landwirtschaft früher oder später eine andere Nutzung gefunden werden musste.
Vater Voith hatte einen sehr guten Ruf bei der Zentralstelle für Gewerbe und Handel in Stuttgart. (6) Und
für diese Zentralstelle mit Steinbeis an der Spitze war auch Eduard Hartmann als sachverständiger
Gutachter tätig, ebenfalls Gesellschafter der Firma Ludwig Hartmann’s Söhne und Leiter der
Musterspinnerei in Herbrechtingen, die 1833 noch von Ludwig Hartmann gegründet wurde und wofür
ihm vom württembergischen König der persönliche Adel verliehen worden war. (7)
Adelheid Hartmann war im heiratsfähigen Alter (geb. 1847) und so wurde bei Hartmann/Zoeppritz
Familienrat gehalten. Friedrich Voith (geb. 1840) schien für diese Familien akzeptabel zu sein. Die beiden jungen Menschen kannten sich ja und wurden mit den Heiratsplänen vertraut gemacht. Friedrich Voith
wanderte nun nicht aus. Er arrangierte sich durch eine Art „Generationenvertrag“ mit seinem Vater, so
dass er klare Verhältnisse schuf und Anfang 1867 Herr im Hause Voith wurde. (8)
Just zu diesem Zeitpunkt stand die Scheckenbleiche im Meebold’schen Besitz zum Verkauf.
Paul Hartmanns Sohn Albert und Vetter von Adelheid Hartmann arbeitete als angehender Ingenieur als
Volotär in der Maschinenfabrik Voith. Von „Herrn Voith“ erfuhr er diese Neuigkeit und dass schon ein
Interessent da sei, und zwar „zwei Herren Helferich, Bleicher aus Kirchheim“. Die Familien Hartmann
und Meebold berieten sich und so kam der Kauf der Scheckenbleiche zu Stande. Auch Paul Hartmann
sen. mit seiner Spinnerei war Gesellschafter der Firma Ludwig Hartmann’s Söhne. Diese Scheckenbleiche
kaufte dann Paul Hartmann sen. auf eigene Rechnung und ließ sie auf sich und zwei seiner Söhne (Albert
und Paul jun.) im Handelsregister eintragen, nachdem er sich wohl den juristischen Rat seines Bruders
Fritz Hartmann, bis 1868 Oberamtsrichter in Heidenheim, eingeholt hatte. Allgemein stellte sich in der
Familie Hartmann über diesen Kauf große Freude ein. Vor allem freuten sich die „Bleichvettern“
Hartmann, dass Paul Hartmann sie von dem gefährlichen Konkurrenten Helferich befreit hatte. (9)
Nur nicht sonderlich erfreut zeigte sich Pauls Bruder Eduard Hartmann in Herbrechtingen der bemängelte,
dass Paul Hartmann sen. diese Bleiche nicht für die Firma Ludwig Hartmann’s Söhne gekauft hatte,
sondern für sich. Zwischen den beiden Brüdern und ihren Gattinnen schienen gewisse Spannungen zu
bestehen. Eduard war überaus intelligent und als studierter Textil-Wissenschaftler bei der Zentralstelle für
Gewerbe und Handel in Stuttgart sehr angesehen. Paul sen. war ein sehr guter Pragmatiker und ebenfalls
mit der Musterspinnerei vertraut, darüber hinaus aber mit einer reichen Frau, der Fabrikantentochter
Friederike Troeltsch aus Weissenburg, verheiratet, die ebenfalls mit der Familie Zoeppritz verschwägert
war. Eduard nun war Schwiegersohn des Prälaten Dr. theol. Karl Ludwig von Roth, Dozent in Tübingen,
und hatte eine mehr wirtschaftswissenschaftliche Denkweise. (10)
Die Ereignisse im ersten Halbjahr 1867 überschlugen sich regelrecht. Im Mai 1867 fing Paul Hartmann
sen. mit seinem Sohn Albert in der neuen Firma Paul Hartmann an. Neue Färbe- und Waschmaschinen
wurden installiert und im Herbst 1867 konnte zusätzlich ein neues Warmtrockenhaus in Betrieb
genommen werden. (11) Diese Firma diente zunächst als Färberei, die Produktion von Verbandstoffen
erfolgte erst ab 1873.
Zwischen den beiden jungen Menschen Friedrich und Adelheid scheint es tatsächlich gefunkt zu haben,
denn am 13. Juni 1867 wurde in Heidenheim Hochzeit gefeiert. Der Ingenieur Friedrich Voith heiratete
die Enkelin von Ludwig v. Hartmann, Bleichbesitzerstochter und Gesellschafterin der Firma Ludwig
Hartmann’s Söhne, Adelheid Clara Sofie Hartmann. (12) Friedrich Voith wurde durch diese Verbindung
schlagartig Mitglied der damaligen „Gesellschaft“ mit Beziehungen zum Königshaus und der
württembergischen Regierung, in der die Familie Hartmann bereits seit dem 18. Jahrhundert war. (13) Als
Mitgift erhielt Adelheid Hartmann Sach- und Geldwerte und auch ein Grundstück in der späteren
Voithsiedlung. (14) Adelheid hatte in Heidenheim und Herbrechtingen nur Brüder und Vettern. Ihre jüngere Schwester Emma ertrank 1850 im Alter von zwei Jahren in der Brenz. Ein kleiner Bruder, Wilhelm,
ertrank am 24. August 1855 mit zweieinhalb Jahren ebenfalls in der Brenz.(15)
Am 18. Januar 1868 wurde Adelheid Voith mit 21 Jahren volljährig und die ganze Familie Hartmann-
Voith sah dem nächsten Ereignis bereits entgegen: Der Geburt eines Kindes. Die familiären wie auch wirtschaftlichen Erfolge der Familien schienen perfekt zu sein. Tatsächlich erblickte dann am 24. März
1868 Carl Matthäus Friedrich Voith das Licht der Welt. Der Junge starb aber bereits am 5. April 1868. (15)
Eine Tragödie!
Man kann diesen Verlust, den die Familien, besonders aber Adelheid Voith hier verkraften mussten, nur
erahnen. Eine Mutter hat ihr Liebstes verloren: Ihr Kind! Obwohl die Säuglings- und Kindersterblichkeit
im 19. Jahrhundert auch in der sozialen Oberschicht sehr hoch war, war es doch jedes Mal ein Schock für
die betroffenen Familien. Dazu kam, dass sich Adelheid Voith sehr schlecht von Geburt und Wochenbett
erholte. Sie kränkelte sogar mehr und mehr und wurde immer schwächer. Die rauen Herbstwinde auf der
Ostalb taten ihr übriges, so dass Adelheid Voith geb. Hartmann schließlich am 20. November 1868 im 22.
Lebensjahr starb. Dokumentiert als Todesursache ist „Auszehrung“, damals ebenfalls weit verbreitet. Ihr
Grab besteht nicht mehr und auch keine Zeile auf dem Totenberg erinnert an sie und an den ersten Sohn von Friedrich Voith, Carl Matthäus Friedrich Voith. Doch im „Grenzboten“ vom 21. bis 28. November
1868 wurde ihrem frühen Dahinscheiden poesievoll gedacht.
Eine neue Situation war entstanden, da überhaupt nicht geregelt war, wie im Falle des Todes eines
Gesellschafters der Firma Ludwig Hartmann’s Söhne zu verfahren ist. Sicherlich hatte man in den
Familien Voith und Hartmann auf eine gesundheitliche Erholung der jungen Frau gehofft, so dass sich
niemand an so ein ernstes Thema wie ausgerechnet dieser Regelung zu diesem Zeitpunkt gewagt hatte.
Dass die drei Hartmann-Firmen unter dem Dach der Firma Ludwig Hartmann’s Söhne früher oder später
nicht mehr als eine große, sondern als drei kleinere Firmen geführt werden müssen, schien seit dem Tod
von Carl Hartmann 1865, dem Kauf der Scheckenbleiche durch Paul Hartmann sen. und erst recht nach
der Eheschließung Hartmann/Voith immer wahrscheinlicher, obwohl einst von Ludwig von Hartmann
gewünscht wurde, dass die „Etablissiments“ der drei Brüder Carl, Paul und Eduard zusammen bleiben
sollen. Doch jetzt musste endgültig gehandelt werden. Ein amtlicher Brief vom 21. August 1871,
unterzeichnet von „Krag“ und „Lipold“ an die „Herren L. Hartmanns Söhnen“ zwang regelrecht dazu.
Darin steht, dass der Tod auch nur EINES Gesellschafters die Auflösung der ganzen Gesellschaft
begründet, zumal auch nicht bekannt ist, wer die Erben sind. (16)
Die äußerst komplizierten Auseinanderdifferenzierungen von Vermögens-, Geld- und Sachwerten sowie
Grundstücken zog sich bis 1881 hin, nachdem es 1879 in der Musterspinnerei Herbrechtingen und 1880 in der Spinnerei Heidenheim gebrannt hatte, beide Firmen zur Firma Ludwig Hartmanns’s Söhne gehörend.
Eine endgültig verbindliche Rechtslage entstand durch Kauf der Spinnerei Heidenheim aus der Firma
Ludwig Hartmann’s Söhne durch Paul Hartmann sen. heraus (17) und einem „Vergleich“ (Vereinbarung)
zwischen Paul Hartmann sen. und seinem Neffen Theodor Hartmann. Aus den beiden Betrieben des Paul Hartmann sen. (Spinnerei und Scheckenbleiche) entstand der heutige weltweit agierende HARTMANN-
Konzern.
Aus der Weißbleiche wurde die Heidenheimer Bleiche- und Appreturanstalt als eigenständiger Betrieb.
Geführt wurde er von Carl Hartmann jun. bis zu seinem Tode 1878 und dessen Bruder Theodor Hartmann,
ebenfalls Absolvent des Polytechnikums als Chemiker. Schon zu dieser Zeit gingen nach und nach
Hartmann-Grundstücke käuflich an Voith über. Nach einem Brand 1899 gab Theodor Hartmann den
Bleich-Betrieb auf und übernahm die amtliche Güterbeförderung in Heidenheim. Alle Grundstücke kamen
dann vollends in Voithbesitz. Es handelt sich immerhin um fast 30.000 qm. (18) Heute ist die Spedition
Hartmann Gesellschafterin der Confern und international tätig. Geschäftsführer und Inhaber ist der
Hartmann-Nachkomme Thomas Eckle in der 13. Hartmanngeneration.
Voith wurde Heidenheims größter Arbeitgeber und Konzern von Weltbedeutung und –ruf im
Maschinenbau. Friedrich Voith trauerte lange Zeit über den Tod seiner Frau Adelheid und heiratete erst
wieder am 4. Mai 1871 Helene Margarethe Crusius. (19) Dass seine erste Ehe in erster Linie eine
Liebesheirat war, konnte man daran erkennen, dass er der ersten Tochter aus seiner zweiten Ehe den
Namen Adelheid gab. Seine Söhne Walther, Dr. Hanns und Dr. Hermann Voith führten seinen Betrieb
weiter. Kommerzienrat Dr. h. c. Friedrich von Voith (pers. Adel) starb am 17. Mai 1913.
Zwischen den Familien Hartmann und Voith bestand stets eine freundschaftliche Verbindung. Mitglieder
beider Familien gestalteten auch ehrenamtlich Heidenheims Kulturlandschaft, in dem sie sich in Vereinen,
im Stadtrat, Kirchengemeinderat und der evang. Landessynode (Albert Hartmann), im Kreistag, in sozialen Einrichtungen und im Finanzwesen engagierten. Die Sprachheilschule führt den Namen Arthur-
Hartmann-Schule. Dr. med. Arthur Hartmann (1849 bis 1931), Sohn von Paul Hartmann sen. und Vetter Adelheids war HNO-Arzt und Professor in Berlin, auch Aufsichtsratsvorsitzender der Paul Hartmann AG.
Während seines Ruhestands in Heidenheim kreierte er des Hartmannbrot.
Die Musterspinnerei in den Räumen des Klosters Herbrechtingen des Eduard Hartmann firmierte bis 1909
unter der Firma Ludwig Hartmann’s Söhne, dann unter „Baumwollspinnerei Herbrechtingen GmbH“.
Während der Weltwirtschaftskrise wurde dieser Betrieb zum 1. Juli 1931 stillgelegt. Der letzte
Nachkomme dieser Linie, Hans Hartmann, starb Mitte der Siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts kinderlos
in Berlin. Er hatte ein Jurastudium und eine anschließende Steuerberater-Tätigkeit in Berlin einem Dasein
in der Provinz vorgezogen. 1933 wurde die Herbrechtinger Spinnerei von der C. Conrad Merz KG; Mössingen erworben (20). Um die Jahrtausendwende wurde auch dieser Betrieb stillgelegt. Heute dient das Kloster der Stadt Herbrechtingen als Kulturzentrum.
Doris Eckle-Heinle
Nattheim, im November 2018
Quellenangabe:
1) Hartmannbuch 1953 (HB) S. 144
2) Krüger, Michael, Heidenheim – die Stadt und ihre Industrie im 19. Jh., Stadtarchiv Heidenheim, 1984, S. 83, Nieberding, Anne, Unternehmenskultur im Kaiserreich, Voith, S. 55 (vergl. WABW B 80 Bü 52)
3) ebenda
4) HB 1953 S. 142
5) WABW (Wirtschaftsarchiv Baden-Württemberg) B 46, 487
6) Krüger, Michael, Heidenheim…. S. 81
7) HB 1953 S. 151 ff, S. 131 ff
8) Krüger, Michael, Heidenheim…. S. 84
9) Plehn, Marcus, Verbandstoffgeschichte, Hg. Wolf-Dieter-Müller-Jahncke, Heidelberg, 1990, S. 49
10) HB S. 148 ff, S 151 ff
11) Plehn, Marcus, Verbandstoffgesch. S. 50
12) HB 1953 S. 78
13) Schwäbische Lebensbilder 5. Band
14) Familienüberlieferung, Wikipedia (Voithsiedlung)
15) HB 1953 S. 79
16) WA Nr. 101.1
17) Flik, Reiner, „Die Hartmann“ in „Wege zum Erfolg“, Hg. Willi A. Boelcke, Leinfelden-Echterdingen, 1996, S. 68
18) WABW B 80, Bü 99
19) Fam. Reg. IV 217.434 ev. Kirchengemeinde Heidenheim
20) Flik, Reiner, „Die Hartmann“ in „Wege zum Erfolg“…S. 68